Geschichte, Krieg und Kunst haben großen Einfluss auf das Schicksal von Menschen. Dessen ist sich Finley Jacobsen sicher. Er widmet sich deshalb dem Erinnern und Vergessen. Als Beispiel dient sein Werk „Mercedes in War and Peace“. Mit jedem Erinnern gehe eine Verzerrung der Wahrheit einher, ob beabsichtigt oder nicht, sagt Finley Jacobsen. Ähnlich wie beim Weitererzählen von Geschichten. Deswegen versucht er mit seiner Kunst, den Finger in die Wunde zu legen. Er wirft implizit die Frage auf, die sich jeder stellen kann: Wie müsste Geschichte aus einer möglichst wahrheitsgetreuen Betrachtung heraus erzählt werden? Finley setzt für sein Kunstwerk ein Fundstück aus der Umgebung seines deutschen Arbeitsplatzes in Szene: Eine weggeworfene Brunnenabdeckung aus Holz. Es war ein Zufallsfund. Seiner Funktion sichtlich beraubt, achtlos herumliegend, der sukzessiven Verrottung preisgegeben. Wie manchmal auch Aspekte unserer Geschichte. Diese Holzscheibe wird Zentrum seines Altarsbildes. Finley schnitzt einen MercedesStern in die Brunnenabdeckung. Er umrahmt ihn mit gemalten Zähnen und Patronen. Sie symbolisieren menschliche Opfer und Waffengewalt. Bemalte Seiten einer deutschen Tageszeitung bilden die Altartafeln, die sich nach oben zu einem Kreuz hin öffnen. Simpel gehaltene Symbol-Zeichnungen schmücken die aktuellen Meldungen, in denen es u.a. um das Vorwärtsdrängen der Autokratie, den Zustand unserer Natur, die Pandemie, die Wirtschaftskrise, den Krieg in der Ukraine, um weltweite Proteste, aber auch Menschen in schwierigen Situationen geht. Finley übermalt die möglichst wahrheitsgetreu durch guten Journalismus mitgeteilten Informationen bewusst in kindlich-kruder Manier:
Der Künstler und Politikwissenschaftler aus L.A. zeigt mit seinem Altarbild, wie Geschichte dokumentiert und Schuld zugewiesen wird. Die „Produzenten“ nationalsozialistischer Ideologie wurden in Nürnberg angeklagt und verurteilt; Produzenten von Kriegsgerät, die Zwangsarbeiter hielten und vom Nazi-Regime profitierten, kamen relativ ungeschoren davon. Es sind oft Unternehmen, die bis heute sehr erfolgreich sind. Finley fordert, dass uns wir uns solcher Zusammenhänge der Kollaboration und ihrer Auswirkungen bewusst werden und dass Betroffene offen damit umgehen.
Der Künstler über Demokratie und Frieden
Mein Name ist Finley Jacobsen, ich bin 22 und komme aus Los Angeles, Kalifornien. Ich studiere an der Wesleyan University, Connecticut, im Hauptfach Government und Studio Art. Seit meiner Jugend bin ich von Kunst und Geschichte fasziniert. Mit ca. 6 Jahren haben mich Krieg und Wahrheit zutiefst beeindruckt. Mein Interesse äußerte sich v.a. dadurch, dass ich dazu viel zeichnete und Filme über den Krieg sehen wollte. Mit den Jahren begann ich zu verstehen, dass die Dinge, die wir als historische Wahrheiten, festgefahrene politische Doktrinen oder sogar Rechtfertigungen für Kämpfe akzeptieren, oft nicht so sind, wie sie erscheinen. Sie sind tatsächlich ständig im Wandel. In meiner Kunst geht es um den Tod, das Sterben, die Geschichte und die amerikanischen Träume. Alles Konzepte, die immer im Fluss sind. Ich versuche, die surrealistische Natur der heutigen Existenz darzustellen und gleichzeitig die Bedeutung der Vergangenheit zu untersuchen. Ich versuche, alltägliche Systeme und Wahrheiten, an die wir uns so sehr gewöhnt haben, in Frage zu stellen, wie z. B. wirtschaftliche Strukturen, Technologien, Regierungssysteme, Krieg und Führung, um ein tieferes Verständnis dieser quasi abstrakten Ideen zu erreichen. Dafür nutze ich lockere Zeichnungen mit Pastellkreiden, kombiniere sie mit Ölfarben, Ölstiften und Schnitzereien auf Holz. Meine Absicht ist, den wahrhaft verwirrenden, zerstörerischen Charakter von Krieg und Politik ebenso hervorzuheben, wie deren Einfallsreichtum.